Grünen-Chef im Höhenflug: Wie Habeck privat tickt und was er mit Deutschland vorhat (2024)

FOCUS Magazin | Nr. 15 (2019)

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Grünen-Chef im Höhenflug: Wie Habeck privat tickt und was er mit Deutschland vorhat (1)

AFP Grünen-Chef Robert Habeck im November 2018 beim Grünen-Parteitag in Leipzig

Sonntag, 14.04.2019, 11:06

Grünen-Chef Robert Habeck ist aktuell der beliebteste Politiker unseres Landes. Wo kommt er her, wie tickt er privat und politisch, was hat er mit Deutschland vor? Ein Porträt über den Mann, der das System auf den Kopf stellen will.

Schnell stopft sich der beliebteste Politiker Deutschlands noch das Hemd in die Hose, dann stolpert er nach vorn durch die dicht besetzten Stuhlreihen. Unter dem Arm trägt er einen Stapel zerlesener Bücher. „Kann man mich hinten noch sehen, wenn ich mich hinsetze?“, fragt er in die Runde. „Nein“, antwortet das Publikum. Also wird Robert Habeck, 49, Schriftsteller, Philosoph, Grünen-Chef, anderthalb Stunden stehen.

Dienstagabend dieser Woche, eine Buchhandlung im Berliner Szenebezirk Prenzlauer Berg, ein Abend mit Max Frisch, Albert Camus und Paul Celan. Vor allen Dingen aber ein Abend mit Robert Habeck und seinen kleinen philosophischen Etüden.

Frei und ohne zu belehren spricht er über die immer noch lebendigen Ideen der toten Schriftsteller. Etwa über die Ideologieskepsis von Paul Celan. Und fügt seine Sicht der Dinge hinzu: „Wir können uns gegenseitig nicht im Kern verstehen und bleiben uns deshalb immer fremd. Und das ist gut so. Denn so entstehen Debatten.“

Verbindet Leben als Schriftsteller und Philosoph mit Karriere als Politiker

Nachdenkliche Stille im Publikum. Literatur, erklärt Habeck, sei sehr politisch. Auch wenn Begriffe wie CDU und Annegret Kramp-Karrenbauer nicht vorkämen. Lachen. Habeck grinst sein verschmitztes, jungenhaftes Habeck-Grinsen, er freut sich über seinen kleinen Gag. Zum Schluss noch ein bisschen Bertolt Brecht.

In solchen Momenten kann der Grünen-Chef sein altes Leben als Schriftsteller und Philosoph verbinden mit seiner Karriere als Politiker. Am Ende kommen junge Frauen nach vorn und wollen sich mit ihm fotografieren lassen.

Es läuft ziemlich gut für den Wahl-Flensburger. Vor gut einem Jahr tingelte er noch durch norddeutsche Kuhställe. Jetzt ist Habeck ein Star, der einzige, den der Politikbetrieb bereithält. Er ist superprominent, supererfolgreich, supersympathisch, superaussehend, es ist nicht zum Aushalten, so supersuper ist er.

Grünen-Chef im Höhenflug: Wie Habeck privat tickt und was er mit Deutschland vorhat (2)

Robert Michael/dpa-Zentralbild/d Habeck im Januar nach einem Besuch im sächsischen Bautzen

Motor der grünen Bewegung

Beliebtester Politiker, Politiker des Jahres, Talkshow-König. Wahlen gewonnen. Er hat die Schleswig-Holsteiner Grünen von der Einstelligkeit in die Regierung katapultiert. Er hat die Bundespartei mit der Co-Vorsitzenden Annalena Baerbock an die 20 Prozent herangeführt. Er ist der Motor der grünen Bewegung mit seiner inklusiven und umarmenden Art, Politik zu machen, ein neuer Joschka, nur netter. Viel, viel netter.

Man muss die Grünen nicht mögen, um dennoch dem Prinzip Habeck etwas abzugewinnen. Hier geht es um mehr als um die Karriere eines Holsteiner Apothekersohns, den Tschernobyl und sein Reaktorblock 4 in die Politik verschlagen haben. Habeck kämpft heute nicht mehr gegen Atomkraft, er macht seinen Lebensstil zu Politik.

Es ist wie beim Radrennen. Der Ausreißer springt davon, doch das Feld holt ihn meist wieder ein. Es kann sich die Arbeit aufteilen, nutzt den Windschatten. Doch ab und zu kommt ein Ausreißer durch.

Habeck ist so einer. Und die Klon-Krieger des Berliner Betriebs mit ihren inhaltsleeren Sprechblasen, mit ihren Ritualen und mit ihrer vorgefertigten Sprache hassen ihn dafür.

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FOCUS online/Wochit Merkel enttäuscht Kramp-Karrenbauer bei Auftakt des Europawahlkampfes

Eine neue politische Ästhetik

Der Politikbetrieb, obschon noch gar nicht so alt, leidet unter einer Sklerose. Die normalen Abgeordneten müssen sich in eine festgefügte Welt hineinkämpfen. Die Karrierewege sind vorgegeben. Erst Plakate kleben, dann Ortsvereinsvorstand, dann langsam weiter. Von früh auf lernt ein Politiker, dass es nichts Wichtigeres gibt als den Proporz. Jung, weiblich, Osten ist gut. Alt, männlich, Westen ist schlecht.

Habeck kann mit alldem nichts anfangen. Er pflegt eine neue politische Ästhetik. Sein Politikangebot ist niederschwellig, mehr Kumpel als Machthaber, der nette Grüne von nebenan, kein Rechthaber wie Jürgen Trittin, kein Miesepeter wie Renate Künast.

Er hat eine politische Marktlücke erspäht, und er weiß sie nun auszufüllen. Er schiebt die Grünen in Richtung Volkspartei, auch weil die anderen Volksparteien das Volk vergessen haben.

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dpa/Bernd von Jutrczenka Hält Enteignungen prinzipiell für denkbar: Grünen-Chef Robert Habeck.

Habeck profitiert von der Schwäche der anderen

Manfred Güllner vom Meinungsforschungsinstitut Forsa hat in einer Studie die Entfremdung von Politik und Wirklichkeit nachgemessen. Die Ergebnisse sind aus Sicht der Parteien erschreckend. Zwei Drittel der SPD- und Unionswähler kritisierten die wachsende Distanz zu den Bürgern. Die Parteien führten ein Eigenleben, wüssten nichts von den Sorgen und Nöten, so das Urteil. Güllner fand heraus, dass die Menschen nicht der Parteien überdrüssig sind. Sondern deren selbstzufriedener Bräsigkeit.

Hier kommt Habeck und profitiert von der Schwäche der anderen. Er drängt den Menschen keine Antworten auf, er stellt Fragen. Eine neue Nachdenklichkeit zieht ein, die Grünen selbst ändern sich unter Habeck mit großer Geschwindigkeit. Die grüne Partei, lange Zeit ein Anhängsel der gut ausgestatteten Fraktion, gewinnt rapide an Bedeutung. Sie soll eine Art politischer Thinktank werden und Debatten anstoßen. Früher war die Zentrale mehr ein Plakatelager als inhaltlicher Schrittmacher.

Jetzt läuft seit über einem Jahr die große Habeck-Show. Sie hat gute Quoten, sie trifft den Geschmack des bürgerlichen Publikums. Doch so viel Mainstream geht zulasten der Genauigkeit. Wofür also stehen die Grünen? Und was hat Habeck wirklich vor?

Wer den Grünen-Politiker verstehen will, muss zweieinhalb Jahre zurückblicken. Damals wählte die Partei ihr Spitzenduo für die Bundestagswahl 2017. Vier Kandidaten traten an, darunter Habeck. Der tat – gar nicht philosophisch – kund: „Ich will nicht hinter der AfD landen und bei neun Prozent verrecken.“ Er wolle die grüne Selbstgewissheit zerstören. Habeck war zu diesem Zeitpunkt Umweltminister und Vorsitzender der Grünen in Schleswig-Holstein. Er ging als Außenseiter in dieses Rennen, und er verlor es knapp gegen den populären Cem Özdemir.

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dpa/Hendrik Schmidt Annalena Baerbock und Robert Habeck, die Bundesvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen. Ihre Partei hat einer aktuellen Umfrage zufolge ein ähnlich hohes Wählerpotential wie das der Union.

Habecks Pläne? Teilweise scharf links

Trotzdem ist er Gewinner. Von nun an wird „der Robert“ gerufen, wenn die anderen es vermasseln. Und tatsächlich, sie vermasseln es. Schlechte Umfragewerte, gescheiterte Jamaika-Verhandlungen.

Er ist in Wahrheit ein prominenter Unbekannter. So richtig kennt ihn kaum einer. Er gilt als Realo bei den Grünen, aber einige seiner Forderungen, etwa die Abschaffung der Hartz-Gesetze, sind scharf links. Habeck ist, wie viele seiner Berufskollegen, ein höchst flexibler Mensch, ausgestattet mit einer postmodernen Beliebigkeit. Anything goes. Und natürlich ist er ein knallharter Machtmensch, der jetzt alles seiner Karriere unterordnet.

Auch Habeck spielt ein schmutziges Spiel mit, wenn er denkt, dass es das wert ist. Während der Jamaika-Sondierungen im Herbst 2017 stellten viele Liberale fest, wie unberechenbar der Grünen-Politiker agiert. Habeck twitterte Beschlüsse aus Sitzungen, die noch gar nicht gefallen waren.

Immer wieder fiel er den Grünen-Verhandlungsführern Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir in den Rücken, stellte deren Argumente oder Beschlüsse infrage. „Ich erkenne meinen Freund Habeck nicht mehr“, stöhnte FDP-Vize Wolfgang Kubicki, der nur fünf Monate zuvor mit dem Grünen-Politiker eine Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein gezimmert hatte. Auch Unionspolitiker waren schwer genervt von Habeck: „Der verfolgt eine ganz eigene Agenda.“

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dpa

Inzwischen pflegt die FDP-Fraktionsführung vertrauensvolle Beziehungen zur Grünen-Fraktionsspitze. Man stimme sich in vielen Dingen eng ab, heißt es. Anton Hofreiter war auch zu Christian Lindners 40. Geburtstag in die FDP-Zentrale geladen. Habeck dagegen nahm an der Feier nicht teil. Zwischen ihm und Lindner ist das Verhältnis mal locker, mal angespannt, zuweilen sogar vergiftet – auch wenn sich beide duzen.

Als Lindner Habecks Partei vor einigen Monaten in einer Talkshow als „Klima-Nationalisten“ bezeichnete, wurde Habeck richtig sauer: „Das ist Populismus. Das ist wirklich unangenehm.“

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AKK entfernt sich mit Riesenschritten von grünen Positionen

Wohin führt Habeck die Partei? Gelingt es ihm tatsächlich, wie beim Radrennen das Peloton zu schlagen? Und welche Machtoption strebt er an? Die gängige These lautet: Habeck ist der verlorene Bürgersohn und der ideale Mann für Schwarz-Grün. Unter Angela Merkel mag das zutreffend gewesen sein, aber die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer entfernt sich gerade mit Riesenschritten von grünen Positionen.

Und in der CSU ist die Ablehnung der Habeck-Grünen immer noch groß. Es gebe zu viele Felder, auf denen Union und Öko-Partei einfach zu unterschiedlich seien, heißt es. Besonders scharf kritisiert CSU-Chef Markus Söder die Blockade der Grünen, Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten anzuerkennen.

Auch in der Innen-, Verteidigungs- und Europapolitik gibt es große Unterschiede. So wollen die Grünen etwa eine europäische Arbeitslosenversicherung, was die Union ablehnt. Andererseits wehren sich die Grünen gegen steigende Militärausgaben, während die Union den Verteidigungsetat mittelfristig von rund 1,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf zwei Prozent anheben will.

Ohnehin missfällt vielen Unionspolitikern, dass die Grünen auch unter Habeck an ihrer Verbotsmentalität festhalten. Sie sind für Diesel-Fahrverbote, für das Verbot des Verbrennungsmotors (ab 2030 für Neufahrzeuge), für Verbote von Massentierhaltung (bis 2038), Ölheizungen, Werbung für E-Zigaretten, Glyphosat.

Robert Habeck wird das im Zweifel nicht um den Schlaf bringen. Ihn interessieren die großen gesellschaftlichen Strömungen. Die will er einfangen. Und für sich nutzen.

Grüne Themen sind en vogue. Erst der Hambacher Forst, dann das Bienensterben in Bayern und jetzt Greta Thunberg und der globale freitägliche Schulstreik zur Klimarettung. „Davon profitieren die Grünen enorm“, sagt Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer von der FU Berlin.

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dpa/Michael Kappelerbild Robert Habeck, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen (Archivbild)

Der Osten wird für Habeck entscheidend

Nur was geschieht, wenn Deutschland in eine Rezession rutscht? Oder die Migrationskrise sich wieder verschärft? Grüne Themen also weniger wichtig werden? Dann kann der Höhenflug ganz schnell vorbei sein.

An der Debatte um Hartz IV wird deutlich, was Habeck langfristig plant. „Die Grünen wollen die SPD als zweite Kraft ablösen“, sagt Niedermayer. In Baden-Württemberg, wo Winfried Kretschmann Ministerpräsident ist, hat das bereits funktioniert. Hier ist die SPD nur noch eine Trümmertruppe. Ebenso in Bayern, wo die Grünen bei der Landtagswahl im Herbst 2018 auf knapp 18 Prozent kamen und fast doppelt so stark wie die SPD wurden.

Wie gelingt das im Bund? Die Grünen müssten zunächst bei der Europawahl die SPD hinter sich lassen. Das könnte die grüne Euphorie bis in den Herbst tragen, damit die Partei bei den Landtagswahlen im Osten ebenfalls Erfolg hat. In Sachsen liegt die Partei laut einer Umfrage derzeit bei unglaublichen 16 Prozent.

Wenn die Grünen in Europa und im Osten Erfolg haben, hält Parteienforscher Niedermayer es für wahrscheinlich, dass sich die Partei bei rund 20 Prozent stabilisiert. Meinungsforscher Güllner schätzt das Wählerpotenzial der Grünen auf rund 40 Prozent, gleichauf mit dem der CDU.

Damit verbindet sich die nächste Frage: Sollten die Grünen als 20-Prozent-Partei einen Kanzlerkandidaten aufstellen? Das macht die SPD in einer ähnlichen Größe schließlich auch. Mit Robert Habeck oder Cem Özdemir hätte die Partei zudem Kandidaten, die sich diesen Job zutrauen.

Wenn Nahles über Habeck spricht...

Das würde die SPD wohl noch mehr ärgern. Die Genossen sind eh genervt. Wer mit Andrea Nahles über die Grünen spricht, erlebt eine SPD-Chefin, die sich in Rage reden kann. Nahles hält die Grünen für überbewertet. Sie glaubt, die Partei vertrete weltfremde Ansichten – vor allem in der Flüchtlingspolitik. Nahles fordert einen „Realismus ohne Ressentiments“ und wirft den Grünen zugleich Naivität vor, wenn sie sich weigern, mehr Länder in Nordafrika zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären.

Vom einstigen rot-grünen Projekt, das 1998 Gerhard Schröder ins Kanzleramt brachte, ist kaum noch etwas übrig. Wie sehr das manche Genossen wurmt, geben sie in Hintergrundgesprächen preis. Da wird dann gern mal über den „Apothekersohn“ Habeck gespottet, der kein Verständnis für soziale Probleme habe.

Doch wer weiß, rein rechnerisch könnte es vielleicht schon klappen, wenn Habeck weiterhin so erfolgreich ist. In den nächsten zwei Monaten wird er durch Brandenburg, Thüringen und Sachsen reisen, er wird oft reden, manchmal etwas vorlesen und für das grüne Lebensgefühl werben.

Obwohl der Osten lange grüne Diaspora war, erklärt Habeck die drei Wahlen dort zur Bewährungsprobe. Wenn sie dort nicht zweistellig würden, könnten sie auch den Anspruch der Volks- oder Bündnispartei nicht durchhalten. Stimmt. Dann würde ein großes Stück in der Habeck-Republik fehlen.

Im Video: Nackt-Aktivistinnen stürmen Spahn-Rede - dessen Konter begeistert Publikum

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