Der Mann mit den drei Gesichtern | NZZ (2024)

Er muss ein Albtraum für alle Regisseure gewesen sein, mit denen er Filme gedreht hat. Robert Mitchum, manchmal verkannt, hat selber an seinem Image eines Nicht-Schauspielers gearbeitet.

Christina Tilmann

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Der Mann mit den drei Gesichtern | NZZ (1)

Er war der Meister im Sprücheklopfen – und die meisten Sprüche handeln davon, wie wenig ihn sein Job interessierte. «Ich habe nur zwei Schauspielstile: mit Pferd oder ohne.» Oder: «Ich habe drei Gesichtsausdrücke: nach links schauen, nach rechts schauen und geradeaus schauen.»

Der Mann muss ein Albtraum für Regisseure gewesen sein, wenn er mit demonstrativem Desinteresse am Set auftauchte und fragte: «Was soll ich sagen?» Aus seiner Verachtung für die Schauspielerei hat Robert Mitchum, geboren am 6. August 1917 in Bridgeport, Connecticut, nie ein Hehl gemacht und diese Attitüde geradezu als Markenzeichen kultiviert: «Ich war nie hinter einem Job her. Sie schienen mich zu verfolgen. Die Kohle kam immer reichlicher, und das ist todsicher besser als eine Stechuhr.»

Pure Präsenz

Mit Stechuhren hatte er Erfahrung, und Kohle brauchte er 1943 dringend: Seine Frau Dorothy erwartete ihr zweites Kind, er selbst hatte seinen Fliessband-Job in den Lockheed-Flugzeugwerken gerade hingeworfen, weil er wegen der Nachtschichten an Schlafstörungen litt. Ein arbeitsloser No-Name – das war die denkbar ungünstigste Ausgangsposition, um in der Traumfabrik einzusteigen, und gleichzeitig eine dieser Geschichten, aus denen Amerika seine Mythen «vom Tellerwäscher zum Millionär» spann – nur dass Robert Mitchum zuvor Boxer, Tramp, Kettensträfling, Schuhverkäufer, Ghostwriter für einen Astrologen, aber auch Songwriter und Gelegenheitsschriftsteller gewesen war – selbst ein Oratorium für Orson Welles hat er geschrieben.

Nun also Hollywood, das sich bald um den athletischen 1,85-Meter-Mann mit dem Schlafzimmerblick und der eingeschlagenen Boxernase reisst, um dieses Gesicht, das wie mit grober Hand aus weichem Ton geformt scheint. Gross anstrengen musste er sich nicht: «NAR», no acting required, keine Schauspielerei vonnöten, schrieb er an den Rand der Drehbücher, und ein Glück, dass Acting tatsächlich nie gefragt war in Mitchums Filmen. Es war die pure Präsenz, für die er bezahlt wurde und die ihn durch jede Rolle trug, eine Mischung aus Coolness, Indolenz und Rebellion.

Der Schauspieler Robert Mitchum wäre am Sonntag hundert Jahre alt geworden. – Der Durchbruch gelingt Mitchum als Lieutenant Bill Walker in «The Story of G.I. Joe» (1945). (Bild: PD)

Er spielt wahllos alles, Western, Kriegsfilme, Film noir, Komödien, spielt die Schurken und Bösewichte, die Gangster und Sheriffs, in insgesamt über 120 Filmen. Die schönen Frauen an seiner Seite wechseln, Greer Garson, Teresa Wright, Jane Greer, Jane Russell, Susan Hayward, Ava Gardner, Katherine Hepburn oder Jane Simmons, aber die Rollen bleiben sich gleich: «RKO [das US-Major-Studio] machte zehn Jahre lang denselben Film mit mir. Sie waren sich so ähnlich, dass ich in sechs davon denselben Anzug und denselben Trenchcoat trug.»

Austauschbar mögen die Rollen sein, unverkennbar ist der Mann und das, was er verkörpert – Widerwillen gegen Autorität. Was nicht ausschliesst, dass Mitchum zwei der schwärzesten Rollen spielt, die die Filmgeschichte zu bieten hat: Reverend Harry Powell in Charles Laughtons einziger Regiearbeit, «The Night of the Hunter» (1955), ein Albtraum in Schwarz-Weiss, im Zentrum dieser Wanderprediger mit schwarzem Hut und schwarzer Krawatte, der auf der einen Hand «Love» und auf der anderen «Hate» eintätowiert hat und mit seiner gefährlich weichen Stimme zum Wiedergänger unserer Träume wird. Und den Strafgefangenen Max Cady in J. Lee Thompsons Psychothriller «Cape Fear» (1962), der die Familie des aufrechten, von Gregory Peck gespielten Mannes tyrannisiert – im Remake von Martin Scorsese übernahmen 1991 Mitchum und Peck kleine Nebenrollen. Seine letzte Rolle spielt er in Jim Jarmuschs «Dead Man», und zwei Jahre später, 1997, stirbt er an Lungenkrebs.

Eine denkwürdige Begegnung

Die Zeit an der Stanzmaschine bei Lockheed hatte noch ein Nachspiel. Damals stand neben Mitchum ein Kollege, der ihm Bilder seiner hübschen, sehr jungen Frau namens Norma Jean zeigte. Vierzehn Jahre später spielt er neben ihr in seinem schönsten Film, Otto Premingers Technicolor-Melodram «River of No Return». Der harte Ranger und das Starlet, er bekommt die Zähne nicht auseinander, sie kann den Mund nicht halten, er verachtet ihre Unmoral, sie liebt seine Härte, und doch finden sie sich auf dem reissenden Fluss, im steten Takt des Titelsongs, «No return, no return».

Am Ende wirft Mitchum sich Marilyn Monroe über die Schulter, trägt sie zum Pferdewagen und erklärt, nun gehe es heim – wahrscheinlich das unwahrscheinlichste aller Happy Ends. Er habe, schreibt Herbert Achternbusch, im Kino nach der Vorstellung den Sitz gewechselt, «damit man den Blutfleck unterm Stuhl nicht auf mich bezog. So hatte mein Herz geblutet.»

Robert Mitchum (*1917 Bridgeport, †1997 Santa Barbara) Für die einen war Robert Mitchum schlicht der beste Schauspieler der Welt, für andere nur ein Schandmaul. Seine eigenen Filme langweilten ihn, doch von Coolness verstand er zeitlebens etwas.

Jürg Zbinden

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Renate Wiggershaus

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NZZ-Redaktion

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